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Die Carnegie Hall besticht nicht nur durch eine hervorragende Akustik und ein erlesenes Programm, sondern auch durch enorme Unbequemlichkeit. In der ersten Reihe des "Balcon" muss man nicht nur schwindelfrei sein, sondern Füße wie eine Geisha haben, möchte man sie denn vor seinem Sitzchen auf den Boden stellen.
Desungeachtet hat Herbie Hancock in vier Sets ein brillantes Spektrum seiner Jazz-Seiten aufgeblättert. Überwiegend begeisternd, in Teilen enttäuschend, brachte der einflussreiche Musiker beim JVC Jazz Festival in kürzester Zeit eine enorme Vielfalt auf die Bühne.
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TRIO: Herbie Hancock (p), Ron Carter (b), Jack Dejohnette (dr), surprise guest Michael Brecker (sax)
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Lionel Loueke überrascht mit einem knochentrockenen Gitarrenklang, der eher an westafrikanische Zupfinstrumente erinnert und bringt - dank Elektronik - mit seiner dunklen Stimme einen ganzen Chor auf die Lautsprecher. Eindrucksvoll sind Stimmvolumen und Improvisationstechnik des Riesen. In seiner Introduction vergisst Hancock nicht zu erwähnen, dass der in Benin gebürtige Musiker immer wieder Visaprobleme, besonders mit den USA, hat, wenn er mit Hancock auf Tournee geht.
Hancocks Neuentdeckung Lili Haydn, gewandet wie eine Opernsängerin, bedient die elektronische Violine und beamt damit das Publikum zurück in die Fusionjazzphase der achtziger Jahre. Der Effekt verstärkt sich, wenn sie mit ihrer hauchenden, an Björk erinnernden Stimme Schleier über nahezu still stehende Musik legt.
Zu den jüngeren Musikern in der Band gehören Matt Garrison am elektrischen Bass und der junge Tourneedrummer Hancock's, Richie Barshay, der mit moderner Spieltechnik aufwartet.
Zu viele Köche verderben den Brei, auch bei diesem Quintet: Zu viele Solisten, zu viele Stile, zu wenig Zusammenhalt als Klangkörper lassen den Zuhörer etwas ratlos zurueck. Die Solos sind allesamt interessant, aber es fehlt die Klammer.
Das Spiel zerfällt vollständig, als Funklegende Marcus Miller auftaucht und Hancock's Funk-Hymne "Chamaeleon" elektrifiziert. Seine Basslines zerstören den letzten Rest des Gefüges: Viel zu laut, aufdringlich, dominant werden sie zwar dem Funk gerecht, zersplittern jedoch den Abend. Dem Publikum gefällt's - doch wird das Dilemma der "& Friends-"Konzerte offenbar: Nicht jeder kann oder will mit jedem. Der Versuch, ein weites Spektrum abzubilden, ist eine Gratwanderung. Und mit diesem Quintet rutscht Hancock ab.
QUINTET: Herbie Hancock (p), Lionel Loueke (gui) from Benin, Lili Haydn (vio and voice), Matt Garrison (eb), Richie Barshay (dr), special guest Marcus Miller (eb)
Nach der Pause eroeffnet T.S. Monk - ein direkter Nachfahre von Thelonious Sphere Monk - den zweiten Part, preist Hancock als einen der größten (nicht nur der lebenden) Musiker und wirbt für Spenden ans Thelonious Monk Institute for Jazz.
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PIANO DUETS: Herbie Hancock (p), Gonzalo Rubalcaba (p)
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QUARTET: Herbie Hancock (p), Wayne Shorter (sax), Dave Holland (b), Brian Blade (dr)
Es bleibt das schale Gefühl, einen Sampler durch die gesamte Kreativitätsphase eines großen Komponisten und Pianisten zu hören - zwar live, doch zu zusammenhanglos. Doch halt - wo gibt es sonst Gelegenheit, so viele exzellente Musiker auf einmal zu erleben? Die Carnegie Hall bietet keine Clubatmosphäre. Sie lässt durch Ihre Geschichte, ihre Größe nicht gerade experimentelle Atmosphaere aufkommen, eher bietet sie einen festlichen Rahmen. In einem solchen verstanden, ist der Auftritt von Herbie Hancock und seinen Freunden Weltklasse zu nennen. Er erweiterte erneut Gehör und Gehirn. Auch wenn danach die Füße taub waren.
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