Monday, April 06, 2009

Airborne

Überraschung! Ich sollte nicht erfahren, wohin es zu meinem Geburtstag ging, deswegen Augen zu und los. Ab zur U-Bahn auf den 6 train, in Grand Central umsteigen in den Zug (aber welche Linie?) und schließlich exit im unsagbar hässlichen Pendlerstädtchen White Plains. Warum nur? Wo ging's hin? Umstieg in ein altes, kaum noch fahrtüchtiges ehemaliges New Yorker Taxi. In abgewetzten Polstern, mit gesprungener Windschutzscheibe und auf schleifenden Radlagern ging's kreuz und quer durch die Büsche nördlich von New York.

Meine Phantasie spielte völlig verrückt. Warum sollte mich Kate hierher bringen? Hier gibt es keine Segelboote, keinen Hummer, nichts, eigentlich nur hässliches Hinterland, Pendler und... Moment mal: den Regionalflughafen Westchester Airport. Aber nein, einen Fallschirmsprung werden wir sicher nicht machen, Kate hätte einen dickeren Wintermantel angezogen (wir hatten mehr als 20 Grad Celsius). Das Taxi rollt aus. Was haben wir denn hier? Aha. Panorama Flight Service. Ahh, wir werden fliegen. Genauer gesagt: ICH werde fliegen. Denn hier gibt's Schnupperstunden.

Zur Einstimmung am Flughafen bekommen wir erst mal mal Kaffee und Käsekuchen. Ist schließlich mein Geburtstag, oder? Die New Yorker sind bekannt für ihre unzerstörbare Liebe zum cheesecake, aber einen Teeküchenkühlschrank mit rund einem Dutzend Sorten für die Aviatoren habe ich auch noch nicht gesehen. Also zuckern wir uns etwas auf. Haben wir ja gerade nötig bei unserer Figur, andererseits ist es mein Geburtstag, also...

Gettin' ready with Captain James


Captain James checkt die Cessna 172: Flügel dran, Öl drin, auf geht's! Na gut, der check war doch erheblich ausführlicher.

Captain James ist eigentlich Cargopilot und fliegt unter der Woche Fedex-Kisten zwischen Newark und Boston hin und her. Am Wochenende gibt's ein paar Dollar extra für die Flüge von Westchester aus, etwa für Immobilienmakler, die sich zu Tode stürzen Luftaufnahmen ihrer Häuser machen wollen oder eben für Leute wie Du und ich, die mal einfach eine Runde fliegen wollen, ohne gleich eine Privatpilotenlizenz machen zu wollen. Ein netter Nebenerwerb, solange die Leute nett sind und das Wetter stimmt. Nach 19 Jahren Pilot sein in Florida hat es James wieder in die Heimat zurückgezogen. Beide Eltern sind Piloten, "it flies in the family", witzele ich.

Also dann, was haben wir denn hier: Eine Cessna 172S Skyhawk SP [english | deutsch], das Arbeitspferd unzähliger Flugschulen, den VW Käfer der Luftfahrt, nahezu unverändert von 1956 an bis heute in mehr als 43.000 Exemplaren gebaut. Der Vierzylindermotor leistet 180 hp bei 2.700 U/min, die Flügel haben 11 m Spannweite bei etwas mehr als 8 m Rumpflänge, die Reisegeschwindigkeit liegt bei 122 Knoten (140 mph, 226 km/h). Zumindest mit letzerem ist sie meinem bisher letzten Auto sehr ähnlich (schnüff).

Ready for take-off!

Würden Sie von diesem Mann ein gebrauchtes Auto kaufen?

Da sage mal jemand, Computerspiele wären doof, realitätsfern und überflüssig: Die Stunden, die ich dunnemals vor meinem hochgetunten neunten MS Flugsimulator verbracht habe, waren mir von großem Nutzen: Ich kenne alle Instrumente, Lichter und Schalter, ich weiß sie zu bedienen (bis auf eines, ok), ich weiß schon so ungefähr, wie die Maschine auf meine Steuerungsversuche reagieren wird, und last not least: ich habe eine Ahnung, wie ich das Ding manövriere, ohne dass uns der Käsekuchen hochkommt. Wer hätte es gedacht. Quittiert wird das von einer juchzenden und kieksenden Kate auf dem Rücksitz, die meine Kamera übernehmen muss und flucht, dass das Objektiv so lang ist, dass sie sich nicht ausreichend zurücklehnen kann. Denn "Viersitzer" bedeutet hier natürlich nicht den Ford-Crown-Victoria-Viersitzer, leider immer noch das klassische NYC-Taxi mit V8-Motor und 350 PS, sondern Viersitzer bedeutet hier im übertragenen Sinne, dass sich vier Leute zwei Stühle teilen. Ach nein, es ist schon bequemer, aber eng geht's zu. Fliegen ist ein Kontaktsport, würde ich sagen.

Inflight

Fast wie Käfer fahren: Cessna fliegen.

Etwas ruckiger als auf der Straße wird "gelenkt", denn das hier ist wie eine Mischung zwischen fahren und segeln: Immer mit viel Gefühl, manchmal mit etwas mehr Kraft, honoriert die Cessna die Politik der ruhigen, aber festen Hand. Locker bleiben, aber immer schön die Gegend und die Instrumente im Augen behalten. Die ersten Minuten sind in der Tat ungewohnt und anstrengend.

Hätte Kate mir gesagt, wo es heute hinginge, hätte ich noch etwas geübt am Vorabend. Aber so what, das Wetter ist prima, bis auf ein paar kleine Schubser in der Luft ist alles im grünen Bereich. Ich entspanne mich. Kate fühlt sich sicher, der Pilot lässt mich wirken, mir geht's bestens, was will ich mehr? Das ist einer der Momente, an denen man zufrieden das irdische Dasein verlassen könnte. Aber halt, noch sind wir hier, und was ich hier tue, ist hochgradig ansteckend. Es besteht akute Suchtgefahr. Wer wissen will warum, fliege selbst mal so ein Ding oder lese zwei Büchlein des schreibenden Piloten Antoine de Saint-Exupery: "Nachtflug" und "Wind, Sand und Sterne". Oder mache das alles nacheinander weg.

Ich bin Kate dankbar, dass sie den Flug auf zwei Tage nach meinem Geburtstag verschoben hat, denn an meinem Jubeltag hatte es Hunde und Katzen geregnet und dazu gewittert, dass es eine Freude war, und der Tag danach war windig. Ja, wirklich windig: 22 Knoten Dauerwind mit Böen hoch zu 42 Knoten. (Zum Vergleich: Das entspricht Dauerwind von 40.73 km/h oder 11,31 m/sek, also Windstärke 6 Beaufort, das Ganze dann mit Böen von 77,78 km/h, 21,6 m/sek und Windstärke 9 Beaufort) Und es war sehr böig gestern. Heute dagegen: Sonne satt, eine frische Brise, ein nahezu blanker Himmel. Perfekte Bedingungen.

Über die der Tappan Zee Bridge

Die Tappan Zee Bridge quert den Hudson River an seiner breitesten Stelle.

Gutes Segelrevier, gutes Fischrevier, gutes Wasser. Die hier gefangenen Krabben lieben den tidenbedingten Mix von Süß- und Salzwasser und werden sogar nach Maryland exportiert, damit sie als die berühmten Maryland crabs wieder nach New York importiert werden können. Unser heutiges Flugziel liegt gerade mal zehn Flugminuten entfernt, die Tapan Zee Bridge über den Hudson. Sie überquert den Strom an seiner breitesten Stelle, etwa 20 Meilen nördlich von New York, wo er in den Atlantik mündet. Die Strömungsgeschwindigkeit ist relativ langsam und die Tide drückt das Wasser hinauf bis zu den Schleusen von Troy, nahe Albany, der Haupstadt des Staates New York. Wer in Troy einen Stock ins Wasser wirft, kann ihn etwa zwei Wochen später an der Tappan Zee Bridge vorbeischwimmen sehen. Aber wir sind nicht wegen des Wassers hier.

Manhattan

Keine 20 Meilen entfernt liegt Manhattan unter einer Dunstglocke, im Vordergrund der Palisades Interstate Parkway in New Jersey.

Ungeahnte Blicke tun sich auf. Ich bin bekennender Fan von Google Earth und Google Maps (siehe unten), aber der "echte" dreidimensionale Blick birgt jede Menge Überraschungen: Diesen Steinbruch nahe der Militärakademie habe ich noch nie bemerkt, den Damm samt Stausee da drüben auch nicht. Sieh mal, wie die Autobahn vom Parkway glänzt, ja, das ist Asphalt, das sind keine Wasserflächen. Wie schön der Farbfächer vom Smog über Manhattan aussieht, während wir hier durch saubere Lüfte segeln. Den Hudson nach Süden runter sehend erkennen wir die George Washington Bridge, das Empire State Building, die ganze New Yorker Skyline. Wie wunderschön. Und wie immer im Leben, wenn etwas wunderschön ist, ist es auch schon wieder vorbei. Schwupps, so geht das.

Landing


Scherwindfrei, Spaß dabei: Landing strip 29

Runter kommen sie immer, selten jedoch so locker und sanft wie heute. Ich gebe das Ruder wieder aus der Hand "Here, she's yours again! Thank you very much, that was gorgeous." Schade, schade, die Zeit verging wie im ... Sssauseschritt, aber jedes Ende hat einen innewohnenden Anfang. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es war ja nicht das erste Mal, dass Kate und ich gemeinsam in die Luft gegangen sind. Auch wenn sie nun meinte, ich solle mich mal nicht zu sehr dran gewöhnen, dass wir das zu jedem Geburtstag machen.

Back to earth


Flotter Dreier: Cessna 172, beste aller Ehefrauen und Teilzeitpilot (von hinten nach rechts nach links).

Da sind wir wieder. Der Flieger wird ordentlich am Boden festgezurrt und angeschlossen. Yep. Mit einer Kette und Vorhängeschloss wird die Cessna an an einen Ring im Boden fixiert, dazu komen diverse Antidiebstahlgimmicks im Cockpit. Seit den Anschlägen von 2001 hat die Flugaufsichtsbehörde FAA zahlreiche neue Regeln erlassen, die teilweise etwas paranoid wirken. For what's it worth [Nachtrag: Dafür, das passierte nur einen Tag später! Sogar mit dem gleichen Flugzeugmodell.].

Na, trotzdem neugierig geworden? Cessna bietet hier einen Überblick über Flugschulen auch in Deiner Nähe. Mit ca. 12-16.000 Talern für die Privatpilotenlizenz ist man dabei, man benötigt laut FAA rund 40, meist aber bis zu 60 Flugstunden vor der Prüfung.

Weil Amerikaner Rabatte über alles lieben, vergisst James mir nicht zu sagen, dass diese erste Runde durchaus angerechnet werde. Aber er ist ein netter Kerl und nimmt uns sogar noch in seinem Auto mit zum Bahnhof nach Terrytown, wo wir uns zum Abschluss dieses Sonnentages die Tappan Zee Bridge von unten ansehen. Und als wir das Schnurren eines kleinen Flugzeugmotors über uns hören, werfen wir die Köpfe in den Nacken und sagen gleichzeitig: "What a lucky bastard, genau da waren wir vor einer Stunde auch!"


Ungefähre Flugroute | View Larger Map