Wednesday, February 27, 2008

Where's the beef?

Auch wenn's nicht so aussieht: Jeffrey und seine Crew sind die Freundlichkeit in Person. Die Aufnahme von Andrew Kist hängt großformatig auch im Markt - neben Dutzenden anderer Kunstwerke rund um Jeffrey Ruhalter's Fleischerei.

Der Schlachter meines Vertrauens: Jeffrey Ruhalter im Essex Street Market auf der Lower East Side. Jeffrey ist ein extrem freundlicher butcher, der das Unternehmen in vierter Generation leitet - beides will in New York Einiges heißen. Seit 1929 verkaufen die Ruhalters Fleisch, gute Worte verschenken sie dazu: Wer Jeffrey fragt, bekommt nicht nur heiße Rezepte, sondern auch professionellen Rate, was wie mit welchem Fleischstück noch anzustellen ist. Wer kurz vor Ladenschluss um sechs kommt, bekommt auch schon mal zwei, drei tafelfertige dinners kurzerhand geschenkt, denn eines gibt's hier nicht: Altes Fleisch.

Nicht nur wegen der Qualität lohnt das Wiederkommen, auch die ausnehmende Freundlichkeit des Teams und nicht zuletzt die selbstbewußte Art Jeffrey Ruhalters selbst, der sich und sein Geschäft in Szene zu setzen weiß. Dass seine schicke Flash-Website zu viele Fehler und Lückentexte aufweist, macht nur einmal mehr klar: Direkter Kontakt zu Jeffrey ist durch nichts zu ersetzen.

Jeffrey's im Jahre 2006 - vor dem Umbau der Markthalle.

Nach der Renovierung des Essex Street Markets im Jahre 2007 ist etwas "character" verloren gegangen, gleichzeitig wirkt die Halle etwas heller und feundlicher. Dämlicherweise haben die Eigner des Essex Street Markets ein generelles Fotografierverbot erlassen, weshalb ich am Anfang dieses Beitrags auf die Aufnahme des geschätzen Kollegen Andrew Kist zurückgreife.

Verkaufsstand im Essex Street Market während der Renovierung im Jahr 2007.

Ansonsten ist der Essex Street Market eine meiner Lieblingseinkaufsadressen:

- Der Markt ist yuppiefrei - auch wenn direkt dahinter die ersten Yuppiehochhäuser emporschießen und das Viertel nachhhaltig verändern.
- Es gibt gute Lebensmittelqualität zu annehmbaren Preisen. Jaja, wir sind immer noch auf der Lower East Side.
- Die Bandbreite der Versorgung ist sehr gut. Was es z.B. hier gibt: Fisch und Meeresfrüchte, Fleisch, Obst & Gemüse, Konserven (mit Schwergewicht auf der hispanischen Küche), frische Blumen, heiße Suppen, Sushi, Brot, exquisite Käse, Wein, Devotionalien sämtlicher großen Religionen, gebrauchte Vinylschallplatten, einen Frisör, eine Änderungsschneiderei so groß wie eine Telefonzelle, einen Elektroreparateur, der sich auch um dein ausgefallenes altes TV Set kümmert und last not least Shapiro's koschere Weine. Period.

Wie hinkommen: Guckst Du auf Google Maps.

Monday, February 25, 2008

Farewell, Angelo!

Nach 45 Jahren muss Angelo Fontana wegen unendlicher Mietgier seine Schusterei gegenüber St. Mark's-in-the-Bowery für immer schließen. Nicht nur die neighborhood ist stinksauer.

In der Regel dauern meine Gänge durch die Stadt nicht unter fünf Stunden, ob Tag oder Nacht. Die textliche und fotografische Ausbeute ist quantitativ hoch (wer hätte das gedacht), qualitativ durchaus wechselhaft. Abends werden die Aufnahmen des Tages übertragen, kopiert, beschnitten und anderweitig bearbeitet, und schließlich verschlagwortet und verschickt. Oft genug fehlen dann Zeit und Lust, Bilder entweder in diesem Blog oder auf meinem Flickr-account zu publizieren. Denn in erster Linie werden sie aufgenommen, damit ich meine Brötchen verdienen kann.

Manchmal kommt man nach Hause und ist einfach nur traurig über das, was man im Laufe des Tages gesehen hat.

"Lost my lease"

Die Umstände scheinen dem 75jährigen Angelo Fontana in die erzwungene "Früh"-Rente zu schicken.

Jeder kennt das Problem der gentrification: Eine Gegend ist cool, dort leben Künstler wegen der günstigen Mieten und weil das Viertel noch "unentdeckt" ist, es ist hip. Menschen, die von diesem Image profitieren wollen, gehen dort aus, besuchen neue Bars und Restaurants, arbeiten später in neuen Büros und Läden. Irgendwann wir es schick, ganz dort zu leben. TFB's (Trust Fund Babies) und andere Neureiche überschwemmen das Viertel und zerstören, ob sie wollen oder nicht, das soziale Gefüge des Stadtteils. Die "developers" entdecken das Viertel und bauen auf Teufel komm raus luxury condominiums und schaffen Gewerbeflächen mit Mietpreisen, die nur noch von zwei Kategorien von Mietern bezahlt werden können: Der Gastronomie oder sogenannten flagship stores aller Art, die ihre Miete niemals selbst erwirtschaften müssen - Hauptsache ist, sie sind vor Ort vertreten.

Ausgelöscht: Fontanas Schuhmacherei wird bald nur noch ein Gespenst des East Village sein. Bis heute zieht der kleine Laden wegen seiner überragenden Qualität Kunden sogar von der Upper East Side an.

Wer nicht mehr vertreten ist: Die Künstler, die "normalen Leute", die angestammten Bewohner, die Handwerker, das Kleingewerbe, eine funktionierende ökonomische und soziale Nachbarschaft. In der Folge sieht das Standardlayout jeder zweiten Straßenecke in den hippen Teilen Manhattans folgendermaßen aus:

- 1 Chase Manhattan-Bankfiliale,
- 1 Duane Reade-Drogeriemarkt (in seltenen Fällen CVS, in noch selteneren Fällen Walgreens),
- 1 weitere Bankfiliale, wahlweise 1 "flagship store" einer Kette oder ein Studentenwohnheim der New York University (NYU)
- 1 Bar/Restaurant.

So auch im East Village: An der Ecke E 10th St und 2nd Ave musste vor zwei Jahren das berühmte 2nd Ave Deli dran glauben - Wemauchimmerseidank ist es inzwischen wieder eröffnet (162 E 33rd St bet. 3rd & Lex!). Und nun, liebe Kinder, ratet mal, wer in den ehmaligen Geschäftsräumen eingezogen ist? Richtig, die Chase Manhattan Bank.

Um das Spiel zu vervollständigen, noch die restlichen Anlieger der Kreuzung:

- 1 Kirche (also außer Konkurrenz)
- 1 weitere Bank (North Fork Bank)
- 1 Restaurant mit 1 danebenliegender Filiale der Kette "Urban Outfitter"

Quad erat expectatum - was zu erwarten war.

Geld regiert die Welt - bei Fontana hat das allerdings noch ein menschliches Antlitz - zwischen einem nervtötendem Fernseher mit Hasenohren, Landkarten von Italien, Papst-Postkarten und museumsreifen, aber bestens funktionierenden Maschinen.

Profitgier zerstört lebendige Viertel

Jüngstes Opfer ist Angelo Fontana, der nach 45 Jahren nun sein Geschäft als Schuster an den Nagel hängen muss. Der 75jährige Sizilianer betreibt sein Geschäft seit 45 Jahren an dieser Straßenkreuzung und seit 25 Jahren in diesen Räumen. Es riecht nach Leim, die Maschinen sind mindestens so alt wie Angelo selbst (nämlich 75 Jahre) und sind tadellos in Schuss. Bevor Angelo Fontana 1962 nach New York kam, machte er Schuhe in seiner Geburtsstadt Palermo, komplett, handgemacht. In Amerika brauchte das niemand - also begann er Schuhe zu reparieren. Die Washington Post nannte diese Zeitkapsel "one of the world's best shoe repair shops" - und ich kann das bestätigen, bin ich doch treuer Kunde, seit ich diese Stadt kenne - und noch bevor ich hier dauerhaft lebte.

Wer zu Angelo Fontana geht, braucht seine Schuhkarte nicht wirklich. Er kennt nicht nur jeden einzelnen Kunden, sondern auch dessen Schuhe. Und er winkt freundlich jedem seiner zu, der das Fenster seiner Werkstatt passiert und einen Blick hinein wirft.

Im vorigen Jahr wechselte der Hausbesitzer. Der Käufer war Mark Scharfman, von der "New York Press" auf Platz 37 als einer der "50 widerlichsten New Yorker" gelistet. ("The Oil Can Harry of modern-day New York and its prototypical heartless landlord") nennt nun 150 Immobilien in New York sein eigen. Fontana war anfangs noch aufgeschlossen und freundlich, erledigte kleinere Gefälligkeiten für den Neubesitzer, zeigte Interessenten die Wohnungen oben im Haus und war einfach Angelo Fontanana - nett, zuvorkommend und kooperativ.

Doch Scharfman meint, statt ohnehin knackiger 4000 Dollar Miete nun auf einmal 5500 Dollar verlangen zu müssen - pro Monat. Und das für ein Geschäft im East Village mit 700 Square feet - das entspricht etwa 65 Quadratmetern. Das kriegt man mit den besten Sohlen nicht erwirtschaftet, auch nicht direkt gegenüber St. Marks-in-the-Bowery, in der u.a. Peter Stuyvesant bestattet liegt.

Von der Wirtschaft verdrängt - von Sizilen nach Staten Island

Etwas "rotund", aber in seiner Werkstatt fühlt Angelo Fontana sich wohl.

Angelo Fontana mit seinen weißen, zurückgekämmten Haaren und seiner rahmenlosen Brille steht, wie man hier so sagt, etwas "rotund" in seinem Arbeitkittel in der Werkstatt. Sobald jemand den Laden betritt und ihm Trost oder Mut zuspricht, kämpft er mit seinen Emotionen. Er macht nicht viele Worte, aber es arbeitet in seinem Gesicht. Fontana ist East-Village-Urgestein, er lebte mit seiner Familie in der E 12th Street. Heute pendelt er über die Upper New York Bay jeden Tag von Staten Island hierher.

Que sera? Die letzen Monate haben Angelo Fonatana sichtlich mitgenommen. Das East Village ist für ihn wie eine Familie, die ernicht missen mag - so wenig wie seine Arbeit. Die Menschen im Viertel geben sich derzeit die Klinke in die Hand, um ihm Mut und Trost zuzusprechen.

Er wird das Village vermissen, sagt Fontana, es sei für ihn trotz aller Veränderungen im Viertel wie eine Familie. Aber was noch schlimmer sei: Er will nicht in den erzwungenen Ruhestand gehen. "Ich bin keiner, der rumsitzt und vor dem Fernseher abhängt. Ich muss etwas tun, ich bin es mein Leben lang gewohnt zu arbeiten. Ich will das auch noch für zehn weitere Jahre tun. Oder sagen wir, für fünf vielleicht."

Fonatana sieht das Handwerk im East Village sterben: "Bald ist niemand mehr übrig."

"Bald sind keine professionellen Handwerker mehr übrig", fürchtet Fonatana, "keine Schuhmacher, keine Schneider, alle werden sie weg sein - die Leute heutzutage haben keine Ahnung mehr." Sein östlicher Ladennachbar Misha Alter ist Schneider, Exilrusse, 65 Jahre alt. Sie teilen sich nicht nur das Ladengeschäft im Haus, sondern auch die Arbeitshaltung. Alter, der seit 29 Jahren im East Village lebt, muss im Juli raus. Er zumindest hofft, als Schneider weiterhin Arbeit finden zu können, vielleicht auf Staten Island.

Es ist ketzerisch, den Schuhmacher Fontana zu fragen, whin man denn in Zukunft seine Schuhe bringen soll. Man erntet verdientes Schulterzucken. "Hmm, die andern Schuhmacher in der neighborhood sind alles Russen, Ukrainer oder Brasilianer. Hat man von ihnen je gehört, dass sie hervorragendes Handwerk abliefern? Die tackern die Schuhe so schlecht zusammen, dass ihre Kunden gleich reihenweise zu mir kommen." Was arrogant klingt, entbehrt nicht eines Körnchens Wahrheit, auch wenn es mit italienischer Verve ausgedrückt wird. Fonatana, der sonst so bescheiden wirkt, fühlt sich hier wirklich bei der Ehre gepackt. Schließlich ist er Schuhmacher, nicht nur Schuhreparierer.

Ob Rev. Billys Segen hilft?

Auch unser aller Liebling Reverend Billy und seine Church of Stop Shopping haben ihre Solidaritätsadresse an Angelo Fontana abgeliefert - ist Rev. Billy doch erklärter Feind der gentrification im East Village und scheut sich nicht, dafür gelegentlich auch in den Knast zu gehen - wenn's denn der Wahrheitsfindung und der guten Sache dient.



Wenn die Füße plattgelaufen sind, aber Geist noch lange nicht, gehe ich ganz gerne auf Forschungstour im Netz über die Geschichte dieser Stadt. Heute deswegen eine Empfehlung, denn meine Beine sind müde: Der Schriftsteller Jeremiah Moss betreibt ein wunderschönes Blog über die Dinge in dieser Stadt, von denen wir jeden Tag einige unwiederbringlich verlieren. Hier: Jeremish's Vanishing New York.

Jeremiah - obwohl bekennender Yunniehasser - Young Urban Narcissist - ist definitiv deprimiert und zitiert die New York Times von 1963:

Any city gets what it admires, will pay for, and, ultimately, deserves....
We want and deserve tin-can architecture in a tinhorn culture.
And we will probably be judged not by the monuments we build
but by those we have destroyed.
New York Times Editorial, 1963

[Die New York Times berichtete im Gegenzug am 28. Oktober 2007 über das Blog in Witness to What Was, Skeptic of What’s New]

Was kann man dazu sagen?



Wie im Hintergrund dieses Films der Gebrüder Lumière zeigt, war das auch schon 1896 nicht besser...

Reif fürs Museum?

Angelo Fontanas Familie will die Einrichtung der Werkstatt in einem Museum konservieren.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch für Angelo Fontana und seine Familie. Sie hoffen immer noch auf eine Einigung mit Hausbesitzer Mark Scharfman. Auch wenn es nicht besonders günstig aussieht: Fontana hat die Miterhöhung im Januar und Februar 2008 nicht gezahlt und bereits eine Vorladung vor Gericht erhalten. Wenn alles schief geht, will Tochter Millie Doria die Maschinen der Werkstatt einem Museum stiften.

Aber alle hoffen, dass es soweit nicht kommt. "Es ist wunderbar, dass sich alle so für meinen Vater einsetzen", sagt Millie Doria, "Es ist eine traurige Situation. Er ist der Letzte in seinem Handwerk. Er ist glücklich hier." Und Fontanas Schwiegertochter Chris ergänzt: "Diese community macht ihn so stolz. Er macht nicht viele Worte, aber es bedeutet ihm so viel."

Auswahl weiterer Artikel über Angelo Fontana (in english):
Worn down by rent woes, shoe store is getting boot, The Villager, Dec. 27, 2007
Reverend Billy’s heeling for East Village shoemaker, The Villager, Feb. 06, 2008
Billy & Angelo, Jeremiah's Vanishing New York, Feb 05, 2008
A. Fontana Shoe Repair - Vanishing Spring 2008, Jeremiah's Vanishing New York, Dec 18, 2007
The Clock Runs Out at A. Fontana Shoe Repair, Racked New York, Jan. 23, 2008
A. Fontana Profiled in Villager: 'People now don’t know nothing', Racked New York, Dec. 28, 2007
Discontinued: Fontana Shoe Repair, Racked New York, Dec. 18, 2007
New York Minutes, Washington Post, Oct. 12, 1997

Saturday, February 02, 2008

Alle agents stehen still...


Immer sehenswert: Improv Everywhere. 207 "Agenten" haben am 1. Februar 2008 Grand Central Station lahm gelegt und für fünf Minuten keinen Finger gerührt - alle anderen schubsten und drängelten drumherum. Das möchte ich bitte nächstes Mal am Times Square sehen - am besten Samtag abends! (Danke, gothamist.) Die mehr als tausend Freiwilligen der New Yorker Truppe sind immer für einen Spaß zu haben - etwa hosenloses U-Bahnfahren. Nervigster Höhepunkt: Das Simultanklingeln von rund 100 Mobiltelefonen in der Taschenaufbewahrung beim weltgrößten Gebrauchtbuchhändler "The Strand" - euphemistisch "cellphone symphony" genannt. Alle 70 bisherigen Missionen sind hier nachzulesen.