Monday, July 09, 2007

Brownout, Blackout - und ein Jubiläum

BROWNOUT
Gestern noch waren wir bei s-teifem Wind von City Island in den Long Island Sound gegangen und hatten den perfekten Sommersegeltag verbracht: Cruisen und quatschen, den warmen Wind und die Sonne vor der Manhattan Skyline an Bord der Maccabee genießen, Schooner und Cutter an uns vorüberzischen sehen.

Wir hatten wenig Lust, wieder ins dampfende Manhattan zu fahren - es herrschten Temperaturen bis 100 Grad Fahrenheit (38 Grad Celsius) und die halbwöchige Hitzewelle war gerade erst losgerollt. Dummerweise schlugen wir das Angebot aus, die Nacht auf dem Boot zu verbringen.

Wir waren noch nicht einmal zu Hause, als es losging: An der Kreuzung 1st Ave und E 9th St flackern die Straßenlaternen. Oh nein. Bitte nicht schon wieder. Erst zwei Wochen zuvor war ich wegen Stromausfalls in der Subway stecken geblieben.

Es hilft nichts. Vor unserem und dem Nachbarhaus eine Menschentraube. Es qualmt aus einem Kanaldeckel vor unserer Haustür, der polnische Hausmeister vom Nachbarhaus witzelt: "Na, dann macht's Euch mal schön gemütlich zu Hause, Ihr Turteltauben, am besten mit Kerzen. Wir kriegen mal wieder Stromausfall. Oh Geez, da wo ich herkomme, gab's sowas nie - und ich kann Euch sagen..." (munter schwatzend ab).

Zu Hause angekommen, macht sich der erste Brownout bemerkbar: Der Rechner bleibt mit vernehmlichen Brummen einfach stehen, alle Lampen werden dunkler, die Ventilatoren bleiben zwar nicht stehen, aber dümpeln nur noch vor sich hin.

Wir sind müde und wollen nur noch ins Bett. Was uns davon abhält, ist deutlicher Brandgeruch. Minuten später fährt die Feuerwehr vor, ConEd, der lokale Stromversorger, rollt mit einem Notfallwagen an, die Arbeiter öffnen ein manhole (einen Kanaldeckel in der Straße), Rauch quillt und stinkt.

Es folgt eine stundenlange Materialschlacht inklusive Staubsaugertruck, Hochdruckreiniger, Messgeräten, Atemschutzgeräten, Halogenlampen - und wie es sich für New York gehört - jeder Menge Krach.

Klarer Fall, wir haben noch die Durchsagen von den Lautsprecherwagen der Polizei im Ohr, die letztes Jahr beim Stromausfall durch die Straßen fuhren: Keine unnötigen Stromverbraucher, vor allem aber keine Klimananlagen benutzen. Wem zu warm ist, der soll in einen der Kühlräume in den Altersheimen kommen. Kein Jokus, dort werden keine jüngst Verstorbenen frisch gehalten, sondern es sind wirklich öffentliche Kühlräume. "Find a cooling center in your neighbourhood", fordert uns die Stadtverwaltung auf. Würden die Rechner noch laufen, steuerten wir diese Webadresse sogar an.

Im vergangenen Jahr hatten wir noch Glück, das East Village flutschte knapp am Stromkollaps vorbei. Ein paar werte Mitbürger in Queens hatten weniger Glück und mussten bis zu viereinhalb Stunden in der Sonne schmoren - auf einem Hochgleis der Subway, und natürlich ohne air condition. Ein paar weitere Leute in Queens hatten für neun Tage keinen Strom und klagen nun gegen die Stadt. Blackouts sind bis heute keine Seltenheit in New York.

Also gut, keine Klimanlage anschalten, gerade dann nicht, wenn man sie wirklich mal braucht. Nur ein kleiner Ventilator für uns, bitte. Na dann gute Nacht.

BLACKOUT
Ich wache auf, weil Schweiß in meine Augen rinnt. Kein kalter, sondern warmer, sehr warmer. Wenigstens ist es mein eigener. Der letzte Ventilator ist ausgefallen. Blackout. Mitteninnernachtverdammtnochmal.
Der Kühlschrank schweigt, die Lampen bleiben dunkel. Wir haben mehr als 40 Grad Celsius, die Luft ist so feucht, dass Tropfen die Wände herunter rinnen. Kein Luftzug, denn das Fenster bleibt geschlossen: Draußen auf der Straße qualmen noch immer die Kabel, die ConEd-Männer arbeiten laut und hoffentlich unverdrossen, die Motoren von mindestens drei Trucks laufen permanent. Also umziehen ins Wohnzimmer - ans offene Fenster in der Hoffnung auf etwas Frischluft. Niente, es bewegt sich nichts. Mir kommen berühmte New Yorker Bilder in den Sinn (s.o.) - aber um auf die Feuertreppe hinauszusteigen, bringe ich keine Energie mehr auf. Auf deren Geländer lagen schon mittags sämtliche Sqirrels unseres Hinterhofs und ließen alle viere (plus Schwanz) baumeln. (Bild: Weegee, Tenement Penthouse, 1943, May 23rd).

Am Morgen ist irgendwann die Energie wieder da. Meine Liebste, new-yorkish gelassen, bedankt sich bei den Jungs für die schnelle Arbeit, bevor sie fragt, wie lange denn noch gewerkelt werde. Und fragt ganz unschuldig: "Was ist denn da gestern abend explodiert? Ein Transformator?" Antwort des CondEd-Arbeiters: "Oh nein, Miss, psssst, nicht dieses Wort bitte, das ist GANZ SCHLECHT! Neinnein, es war nur irgendetwas anders, was da explodiert ist, aber nicht das UN-AUS-SPRECHLICHE!"

Es werde wohl noch etwas dauern, aber man werde nicht verschwinden, bevor die Arbeit nicht getan sei (siehe auch New York's Finest, New York's Bravest (oder hier), New York's Noisiest oder New York's Hardest). Es müssen unterirdisch neue Kabel gezogen werden, und zwar für den ganzen Block. Das werde etwas dauern, und deswegen lege man die Kabel erst mnal oberirdisch. Den Rest des Tages werden dann mit Hilfe einer Kettensäge und acht Trucks im Leerlauf formschöne Holzkästen geschreinert, in die die Kabel vorab auf der Straße verlegt werden, damit niemand drüber stolpert oder sich gar elektrifiziert. Jedes Jahr sterben in dieser Stadt etliche Hunde (und gelegentlich auch ein paar Menschen) durch offenliegende Stromkabel.

Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. Man begibt sich ins Büro und wirft den Rechner an. Dieser Rechner wird mir immer sympathischer: Er verweigert genau wie ich jegliche Arbeit jenseits der 35 Grad Celsius. Aber nun: Endlich mal wieder bloggen.

JUBILÄUM
Fast auf den Tag genau vor 30 Jahren machte ein anderer Stromausfall in New York Geschichte: Am 13. Juli 1977 fiel für etwas mehr als 23 Stunden der Strom aus. Was in dieser Zeit passierte:

  • 21:34, 13. Juli bis 22:39 am 14. Juli: Dauer des Stromausfalls
  • 1037 Feuer werden gemeldet.
  • 1616 Geschäfte werden beschädigt und geplündert.
  • 1700 mal wird falscher Alarm gemeldet.
  • 14 mal wird Mehrfachalarm ausgelöst.
  • 44 Feuerwehrmänner werden verletzt.
  • 3776 Menschen werden festgenommen.
  • 26.000 Polizisten gibt es 1977 in New York.
  • 8000 Polizisten werden sofort auf die Straße geschickt.
  • 18 Polizisten werden schwer verletzt.
  • 300.000.000 Dollar: Geschätzter Schaden des Blackouts. Andere Quellen sprechen von "nur" 150.000.000 Dollar Schaden.
  • 200 U-Bahn-Züge bleiben stecken.
  • 1000 U-Bahn-Passagiere stecken in Zügen fest.
  • 50 Autos werden alleine vom Gelände eines einzigen Autohändlers in der Bronx gestohlen.
  • 200.000 Dollar ist der Schätzwert alleine dieser gestohlenen Autos.
  • 500 Menschen sitzen beim Dinner im "Windows of the world" fest, dem Restaurant auf der 107. Etage des World Trade Center.
  • 35 Menschen sitzen auf dem Aussichtsdeck des Empire State Building in der 86. Etage fest.
  • 50 Dollar kostet eine Taxifahrt vom Shea Stadium (NY Mets!) nach Midtown Manhattan.
  • 10 Dollar kostet diese Fahrt normalerweise.
  • 1 Dollar nehmen einige Jungs mit Taschenlampen, die Bewohner treppauf zu ihren Wohnungen in den Wolkenkratzern in Manhattan begleiten.


Den relevanten Artikel dazu mit allen Links zu Medienspecials gibt's wie immer bei der Times, diesmal im Blog Cityroom: Remembering the '77 blackout. Hier erfahren wir auch, was sonst im Jahre 1977 so passiert - nebst Disco Fever, der Suche nach dem New Yorker Serienmörder "Son of Sam", dem Aufstieg der NY Yankees etc.pp. Groß. Einfach groß. Danke, NYT! Und Ihr da: Links anklicken!

Passend zum Thema kommt der Film zum Blackout in die Kinos: "The Bronx is burning". Hmm, 30 Jahre später auch das East Village...